Beyerlein, Gabriele by Die Goettin im Stein

Beyerlein, Gabriele by Die Goettin im Stein

Autor:Die Goettin im Stein
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Haibe legte das Bündel Holz ab, kniete nieder, riss einige Büschel Heidekraut aus, glättete den Waldboden und malte die heiligen Zeichen hinein. Dann neigte sie den Kopf, bis die Stirn die Zeichen berührte, und betete für ihren Bruder, den einzigen, der noch lebte — vielleicht.

Die alte Priesterin hatte drei Ferkel getötet und unter Gebeten und Gesängen im Schoß der Erde vergraben. Langsam erhob sie sich nun, breitete die Arme aus.

„Gepriesen seist Du, Große Göttin, die Du uns

den Weg in dieses fruchtbare Land gewiesen hast.

Verfolgt waren wir, und Du hast uns gerettet.

Heimatlos waren wir, und Du hast uns eine neue Heimat gegeben.

Verzweifelt waren wir, und Du hast uns getröstet.

Du nimmst uns in Deine Arme wie eine Mutter,

Du nährst uns wie eine Hirschkuh ihr Kalb

und schützt uns wie eine Bärin ihr Junges.

Drei Ferkel opfern wir dir, die Du Drei bist in Eins und Eins in Drei.

Lass die Fruchtbarkeit der trächtigen Sau die Felder durchdringen,

die wir unter den Pflug nehmen wollen!“

Die alte Priesterin ließ die Arme sinken, wandte sich an alle: „Geht schlafen, ihr Lieben! Morgen beginnen wir mit der Rodung der neuen Felder!“

Zirrkan trat neben seine Mutter und erklärte: „Wir müssen mit aller Kraft arbeiten, damit wir die Felder noch rechtzeitig zur Sommersaat bestellen können. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang müssen wir unsere äußersten Anstrengungen vereinen. Gemeinsam kann es uns gelingen.“

Ein einziger Ruf der Zustimmung ging durch die Menge. Die Sippenältesten umringten Zirrkan, besprachen noch einmal die Aufteilung und Planung der Arbeit, während die anderen sich zerstreuten und das Lager für die Nacht herrichteten.

Haibe hörte Fetzen von Frage und Antwort, sah, mit welcher Selbstverständlichkeit Zirrkan um Rat und Weisung gebeten wurde und sie erteilte. Vorbei die Zeiten, in denen Zirrkan es als Last und Zumutung empfunden hatte, die Führung übernehmen und Anordnungen treffen zu müssen.

Eine leise Unruhe bemächtigte sich Haibes. Die Veränderung hatte unmerklich begonnen, kaum wahrnehmbar. Nun plötzlich sah sie, was geschehen war.

Früher waren Entscheidungen von weit geringerer Tragweite mit weit größerer Gründlichkeit und allgemeiner Beteiligung beraten worden. Nichts von Bedeutung, das nicht über Tage hinweg von den Männern in der Männerversammlung und den Frauen bei der Arbeit besprochen und in jeder Familie am Herdfeuer unter allen Erwachsenen beraten worden wäre, ehe Sippenmutter und Sippenältester den Auftrag bekamen, die Meinung der Familie im kleinen Dorfrat zu vertreten, oder ehe in wichtigen Fällen der Allgemeine Dorfrat aller Frauen und Männer zusammentrat und abstimmte. Kein Entschluss, an dem nicht alle mitgewirkt, der nicht von allen getragen worden wäre.

Doch nun waren es mehr und mehr Zirrkan und die Sippenältesten allein, die die Richtung wiesen.

Das Getreide musste in den Boden, jeder Augenblick war kostbar und es blieb keine Zeit für langwierige Beratungen. Wer etwas dagegen einzuwenden hätte, dass Zirrkan mit den Sippenältesten den Plan für die Rodung festlegte, der konnte es sagen.

Aber alle waren damit zufrieden, Männer wie Frauen — dankbar, dass nicht durch tagelange Gespräche kostbare Zeit verstrich. Später, wenn das Leben hier eingerichtet wäre, würden sie zu den alten Bräuchen zurückkehren ...

Haibe ging am Ufer des Sees den Waldrand entlang. Sie konnte es vor sich sehen: die Felder als Inseln in den Wald getrieben, die Dörfer in der Nähe des Wassers.



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